Auvergne und Languedoc, September 2003 (Vorsicht: lang!)


ZAHLEN

Ich fange mal mit den Basics an und werfe mit Zahlen um mich. Ein bißchen Statistik muß ja schließlich sein, wenn man von bestimmten Freunden gemeinhin als "Statistik-Gott" beschimpft wird:


Nun gut, genug der Zahlen. Was gibt es zu berichten?

KULINARISCHES

Die Rotweine und Käsesorten, die ich im Verlauf der zweieinhalb Wochen genießen konnte, habe ich nicht gezählt. Der Käse dürfte in bezug auf die Vielfalt an Sorten aber im direkten Vergleich gegen den Rotwein gewinnen, da ich z.B. auch in Roquefort war. Für Schimmelkäse bin ich ja schließlich Spezialist (= Kühlschrank). Außerdem kann man ja als Getränk nicht ausschließlich Rotwein zu sich nehmen. Dafür weiß ich jetzt, daß "Gentiane" Enzianlikör ist. Und im "Verveine de Velay" sind 32 Kräuter - welche, ist völlig egal, da das Zeug grasgrün ist und 55% Alkohol beinhaltet. Gibt es eigentlich mehr als 32 Kräuter oder heißt "Verveine" auf Deutsch schlicht "einmal alles"? Den Namen sollte sich der Leser jedenfalls merken, ich komme später nochmal darauf zurück.

Wenn ich weniger Skrupel besäße und jeweils Gas gegeben hätte statt zu bremsen, hätte ich mich auch von dem Getier ernähren können, das mehrfach nach engen Kurven auf der Straße herumstand. Zwei Schafherden und fünf oder sechs Rebhühner garantieren auf jeden Fall für ein paar Tage die Ernährung. In einem Gespräch mit dem Biologen meines Vertrauens stellte sich übrigens heraus, daß es sich bei den Federviechern, die ich für Rebhühner gehalten habe, auch um Fasanenweibchen gehandelt haben könnte. Aber egal, Hauptsache es schmeckt. Obwohl: Diese Fasanenrebhühnerwhatever stehen schon außerordentlich niedlich blickend am Straßenrand - da fällt es selbst dem verbissensten Raser schwer, ein Gemetzel zu veranstalten. Ob Rebhuhn oder nicht, der Rest war jedenfalls eindeutig: Ein Schaf ist ein Schaf ist ein Schaf.

AUTOMOBILES

Da ich 6.277 Kilometer unterwegs war, gibt es natürlich einiges von französischen Straßen zu berichten. Auf Landstraßen beispielsweise, wo eine Geschwindigkeitsbegrenzung von 90km/h gilt, existiert eine glasklare Abstufung bezüglich der gefahrenen Geschwindigkeit:
120 - Standardfranzose
100 - ich
70 - holländischer Rentner
30 - Traktorfahrer
25 - Franzose, über 80 Jahre alt
Alles unterhalb der 120 läßt sich aus Sicht des Standardfranzosen auch unter dem Begriff "Hindernis" zusammenfassen und wird dementsprechend behandelt. Die Lösung für Nichtstandardfranzosen besteht im wesentlichen darin, einfach nicht in den Rückspiegel zu schauen, wo sich der Standardfranzose schon formatfüllend breitgemacht hat. Immerhin: Überholt wird, sobald es geht - aber erst, wenn es wirklich geht. Halsbrecherische Rallye-Manöver habe ich kaum erlebt.

Addendum November 2003: Anscheinend wurden soeben die ersten zwölf fest installierten Radarfallen in Frankreich aufgestellt, was einen Aufschrei der Empörung ausgelöst und am ersten Tag zur Produktion von 3.500 Photos geführt hat. Der erste Knipser wurde daraufhin gleich demoliert: Manchmal wissen die Franzosen eben doch besser, was sich gehört.

Auf engen Bergstraßen gilt nicht wie anderswo, daß der bergauf Fahrende Vorfahrt hat. Vorfahrt hat derjenige, der weniger Angst um sein Auto hat und dementsprechend später bremst und ausweicht - und das ist selbstverständlich immer der Franzose.

Manches Mal allerdings treffen dann vielleicht doch zwei aufeinander, die bis zum bitteren Ende darauf beharren, daß sie schließlich Franzosen sind und daß der andere doch gefälligst ausweichen soll. An derartige Fälle oder an Fälle, an denen sich jemand in die Böschung, die Felsen oder andersartige Straßenrandgestaltung bohrt, erinnern kleine Figuren am Straßenrand, die jeweils die Stelle markieren, an der es einen Verkehrstoten gegeben hat. Die Darstellung ist je nach Landkreis unterschiedlich drastisch, von einfachen stummen schwarz lackierten Schildern in Menschenform bis hin zu Figuren mit zerbrochenen Herzen, die zu Dir reden ("J'avais 29 ans"). Irgendwo standen mal acht dieser Teile direkt nebeneinander; da hat es wohl einen Bus zerlegt. Besonders beeindruckend beschildert Vic sur Cère seine Durchgangs-Route-Nationale: Dort sind Schilder aufgestellt, auf denen eine Zeichnung zu sehen ist: Ein Auto hat gerade einen Fußgänger auf einem Zebrastreifen angefahren. Dessen Arme und Beine fliegen lustig durch die Luft, separat natürlich, und darunter heißt es lapidar: "Ca? Non." Dem ist nichts hinzuzufügen, außer, daß ich noch vier Orte weiter grinsen mußte.

Im Opel Astra sitzen die gleichen Prolls wie in Deutschland; es gibt nur glücklicherweise viel weniger davon. Auch das Audi-A3-Publikum ist im wesentlichen gleich und benimmt sich auch so. Der Rest, der in Deutschland gewöhnlicherweise im Opel Astra sitzt, fährt in Frankreich Peugeot 206, Renault Mégane oder Vergleichbares.

Diesbezüglich ist leider die Kleinstadt Mazamet südlich von Albi negativ aufgefallen. Mazamet ist eigentlich eine ganz nett anzusehende Stadt mit einem schönen, kleinen Katharermuseum. Leider sorgen eine per Lautsprecher mit, ähem, "Musik" (vermutlich dem französischen Superstar- oder No-Angels-Pendant) beschallte Hauptstraße sowie diverse goldbeohrringte Jugendliche, die ihre spoilerbestückten und scheibengeschwärzten Spachtelkarossen unter lautem "Ummz ummz" aus den eingebauten fetten Boxen spazierenfahren, für ein derart prolliges Ambiente, daß ich in der internen Wertung einen Stern abziehen mußte.

SEHENSWERTES

Zwischen Sarlat-la-Canéda und Rocamadour wimmelt es von Engländern. Es ist völlig unklar, woher die alle kommen; schließlich ist schon 10 Kilometer hinter Rocamadour kein einziger mehr zu sehen. Engländer übrigens fahren zumeist völlig absurde Vehikel mit abscheulichen Farben (das, was z.B. in der Mr.-Bean-Serie so zu bewundern war, ist wirklich noch harmlos) und sind tempomäßig der Gruppe "Traktorfahrer" zuzuordnen.

In der Rouergue (das ist weiter südlich) kommt es hingegen zu verstärktem Auftreten von Belgiern; die Häufung auf engem Raum ist auch hier eher mysteriös. Belgier fahren zwar zumeist normale Autos, dafür aber wie zu Hause - und das heißt: Wie Sau.

Engländer- und Belgierhäufung war zwar festzustellen, aber zum Glück in keiner Region ein spürbarer Befall mit Deutschen. Den einzigen Saarbrücker habe ich übrigens auf einer kleinen Paßstraße am Fuß der Pyrenäen gesehen (dort, wo man gar nicht mehr mit Gegenverkehr irgendeiner Art rechnet), aber ich bin ja mit dem Heidelberger Kennzeichen nicht mehr als Saarländer identifizierbar.

Wer Gourdon in Richtung Osten verlassen möchte, hat leider verloren: Es gibt hier drei Hauptstraßen: Eine, auf der man von Westen in die Stadt fährt, und zwei, die zumindest gemäß der Städtenamen auf den Wegweisern nach Norden bzw. nach Südwesten führen. Michelin verzeichnet hier eine Route Nationale in Richtung Osten, aber die war anhand der vorhandenen Beschilderung nicht auffindbar. Der Unmut über den daraus resultierenden 50-Kilometer-Umweg war schrankenlos. Warum bloß darf dort ausgerechnet der vermutlich dauerhaft volltrunkene Dorftrottel (Verveine de Velay?) die Beschilderung der überregionalen Verkehrswege übernehmen?

Albi hat eine subtilere Variante entwickelt: Den Kreisverkehr mit vier Straßen, aber völlig ohne Beschilderung. Wenn die einheimischen Verkehrsplaner schon selbst nicht wissen, wohin die Straßen so führen, hätten sie zumindest als Alibi einmal "Toutes Directions" und zweimal "Autres Directions" aufstellen können... Vielleicht ist die Stadt heimlich immer noch in den Händen der Katharer, und sie wollen auf diese Weise die Kreuzfahrerheere aus der Innenstadt raushalten. Könnte funktionieren.

Narbonne hingegen, übrigens auch eine frühere Katharer-Stadt, verzichtet nicht nur in Kreisverkehren, sondern gleich in der gesamten Innenstadt auf die Beschilderung. Der Auswärtige, der zum dritten Mal am Casino-Supermarkt vorbeifährt, geht schließlich dazu über, sich am Stand der Sonne zu orientieren. So ist zumindest mir schließlich doch noch die Flucht gelungen.

Während also Albi und Narbonne den Reisenden in ihrem Bannkreis halten möchten, sind Figeac und Vichy anscheinend nicht auf Besucher angewiesen. Vichy bot mir an dem Sonntagnachmittag, an dem ich in die Stadt kam, genau ein Parkgelände an - und das war vollbesetzt, inclusive der eigentlichen Wendemöglichkeit. Zum Glück hat der Volvo eine ausreichend weit nachgebende Stoßstange. Wer Stoßstangen in Wagenfarbe toll findet, möge Vichy weiträumig meiden. Ansonsten schade eigentlich, die Stadt sah im Vorbeifahren recht ansehnlich aus. Figeac hatte gar keinen Parkplatz, nicht mal einen vollbesetzten. Schade eigentlich, die Stadt usw.

Wer sich hingegen freut, in Carcassonne, immerhin dem touristischen Höhepunkt der weiten Umgebung, einen kostenlosen (!) Parkplatz in unmittelbarer Nähe von "Centre Ville" ergattert zu haben, merkt erst nach einer halbstündigen Wanderung mit stetigem Anstieg des Unmutslevels, daß die Sehenswürdigkeit in Carcassonne, die mit einer doppelten Stadtmauer umgebene Festungsstadt, nicht "Centre Ville", sondern "Cité" ist. Der aufkeimende Unmut wird zumindest dadurch etwas gebremst, daß man, wenn man schließlich in "Cité" angekommen, feststellen darf, daß alle Parkplätze in der Nähe der "Cité" kostenpflichtig sind - und weitgehend besetzt. Schließlich stehen hier auch schon die Busse, die ihre Ladung bereits in die "Cité" ausgekippt haben. Und das sind viele.

Nur weil der Michelin-Reiseführer schreibt, für den Aufstieg auf den Puy Mary (ca. 300 Höhenmeter von der Paßstraße aus) sei gutes Schuhwerk angebracht, muß das noch nicht stimmen. Spätestens, wenn einem im Beginn zum Anstieg die erste etwas beleibtere Zweiundsiebzigjährige entgegenstapft, kommt man ins Grübeln, und der Weg zum Gipfel entpuppt sich denn auch als zwar recht steiler, aber trotzdem gut ausgebauter Asphaltweg. Wenn sie die Stufen noch aus der Piste fräsen, könnte man ja auch gleich mit dem Auto bis ganz nach oben fahren. Jedenfalls: Die famose Rundumsicht lohnt den Aufstieg. Auf dem Puy de Dôme muß man derart Beschwerliches nicht unternehmen, da im Sinne des "no sports" die Straße autofreundlich bis hoch zum Gipfel führt und man nur noch die letzten 20 Höhenmeter zu Fuß zurücklegen muß. Das Vergnügen kostet zwar Maut, ist aber besser als zu Fuß nach oben zu müssen. Jeder, der den Puy de Dôme mal gesehen hat und die Steilheit des Anstiegs kennt, kann das bestätigen. Falls nicht: Bitteschön. Links geht's den Berg hoch. Für die 19 Euro Eintritt, die das nahegelegene Vulkaninformationszentrum "Vulcania" kostet, kann man übrigens gleich sechsmal die Mautstraße hochfahren.

Zisterzienser bauten ihre Klöster ja bekanntlich gerne in abgelegene Seitentäler. Nicht so in der Auvergne. Hier bauten Zisterzienser ihre Klöster in die hinterletzte Ecke des kleinsten Abzweigs eines engen Seitentals des abgeschiedensten Flußtals hinter den sieben Bergen, und der dorthin führende Weg ist maximal so breit wie das eigene Auto und verengt sich in den Haarnadelkurven spürbar.

Der Besuch gleich zweier Klosterruinen, Féniers und Bellecombe nämlich, wurden mir leider durch kläffende Köter vermiest. Insbesondere dem Vieh in Féniers, das über mehr als fünf Minuten ununterbrochen in einer unerträglichen Tonlage bellte, hätte ich gerne einbetoniert. Zisterzienserklöster leben von der Stille. Kläffende Köter gehören in den Fleischwolf.

Überhaupt ist die Vorliebe der Franzosen für kleine, häßliche, zumeist krummbeinige beste Freunde des Menschen deutlich unmuterregend. Der Trieb, mit einem solchen miesen mickrigen Zeckenfänger, der einem in der Innenstadt über den Weg läuft, Fußball zu spielen, wächst von Tag zu Tag. Ein passendes MPEG-File kann übrigens auf meinem Rechner bestaunt werden. Disclaimer: Nein, gegen richtige Hunde habe ich nichts. "Richtige Hunde" sind Hunde, die im Gedränge nicht getragen werden müssen/wollen/können.

NOCH MEHR UNMUTIGES

F*rr*r* schüttet übrigens in Frankreich genau die gleiche Kacke ins Werbefernsehen wie in Deutschland. Da ansonsten die Fernsehwerbung entweder recht witzig ist oder zumindest mit wunderschönen Frauen arbeitet ("Groupama" - ein sympathisches Unternehmen, das man sich merken sollte; ich weiß zwar nicht, wofür die Werbung war, aber...), fällt das zudem noch viel stärker auf als in Deutschland, wo der Rest der Fernsehwerbung ja auch nicht sehenswerter ist. Unerträglich übrigens ist die Radiowerbung, beiderseits der Grenze; die französische ist noch eine Spur schlimmer wegen der idiotischen gesungenen Slogans ("avec Carrefour je positive") am Ende jedes Spots.

Überhaupt Carrefour: Eigentlich mein Lieblingssupermarkt, scheinen sie manchmal gerne ihre Kunden eher wegekeln zu wollen. Darauf deutet zumindest die Fahranweisungen auf den Plakaten in Issoire hin ("Suivre direction Orbeil"), die einen in Orte schicken möchten, die in der ganzen Stadt nicht auf einem einzigen Straßenschild stehen. Nach dem dritten Anlauf fährt man schließlich zu Leclerc. Geht auch. Der Verveine schmeckt von dort genausogut. Und in Brive enden alle Versuche, zu Carrefour zu fahren, auf der grünen Wiese. Irgendwann fährt man dann zu Auchan. Geht auch, der Verveine usw.

ZUSAMMENGEFASSTES

Und da obiges nun trotzdem so klingt, als hätte ich den größten Teil des Urlaubs HB-Männchen gespielt, hier noch ein paar warme Worte zum Abschluß: Dem war natürlich nicht so, es war ein toller Urlaub. Einige wenige Einträge konnte ich zwar für unsere Unmut-des-Tages-Rubrik im Büro aufschreiben, für 17 Tage ist die Liste allerdings außerordentlich kurz geblieben. Wer also nur zum Sich-Ärgern in Urlaub fahren will, soll besser zu Hause bleiben; hier in Deutschland geht das deutlich einfacher.

Wie die anderen französischen Regionen sind auch die Auvergne und das Languedoc auf jeden Fall eine Reise wert. Es gibt viel zu sehen, vor allem viel Landschaft und wenig Menschen, mit dem Central-Massif ein veritables Gebirge, schöne alte Kirchen, Klöster, Burgen und Dörfer, und im Languedoc schöne Mittelmeerstrände. Die Orte am Meer sind keine architektonischen Verbrechen, wie das weiter östlich und weiter südlich vielfach der Fall ist. Daß man Anfang Oktober noch im Meer baden kann, ist auch einen dicken Pluspunkt wert. Und die nächste Tour ist auch schon in Planung: Die Pyrenäen warten. Vive la France.

So. Und nun?

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