Champagne, Lothringen, Vogesen: September 2005



Die Statistik

Wie schon in den beiden anderen Frankreich-Reiseberichten soll auch hier zunächst die traditionelle Statistik stehen. Dem Stammleser (so vorhanden) dürfte der ein oder andere Rekord auffallen; die Zahlen sind teilweise deutlich höher als in den vergangenen Jahren, wenn man berücksichtigt, daß die Fahrt dieses Jahr nur zwei Wochen dauerte (nach den drei Wochen Montpellier im Mai und mit Blick auf die restlichen fünf Urlaube, die ich mir 2005 gegönnt habe, wären nochmal drei Wochen wohl auch etwas impertinent gewesen).

Reisetage: 16
Übernachtungsorte: 7 (Soissons, Nemours, Troyes, Chaumont, Nancy, Vesoul, Mulhouse)
Fahrtstrecke: 5.076 Kilometer
Durchschnittsgeschwindigkeit: 61 km/h
Durchschnittsverbrauch 5,5 Liter auf 100km
Photos: ca. 1550 (43 Farbfilme)
Besuchte Stätten (Städte, Orte, Klöster etc.): 292 (um es nochmal zu betonen: Das sind ca. 18 am Tag - und nein, es war nicht hektisch.)
Zisterzienserklöster: 86 (und die mußte ich alle noch in die Zisterzienserseiten einbauen. Ächz. So lange, kalt und dunkel konnte der Winter dann gar nicht dauern, obwohl er dieses Jahr gefühlt von November bis Ende Mai gedauert hat...)

Das Wetter

"Es war naßkalt; das Wasser rieselte die Felsen hinunter und sprang über den Weg. Die Äste der Tannen hingen schwer herab in die feuchte Luft. Am Himmel zogen graue Wolken, aber alles so dicht - und dann dampfte der Nebel herauf und strich schwer und feucht durch das Gesträuch, so träg, so plump..."
Jaja, schon gut, das ist zugegebenermaßen nicht von mir, sondern aus "Lenz" von Georg Büchner. Aber ungefähr so sah die erste Woche der Champagne-Tour aus. Die Leute, denen ich erzählt habe, daß ich die Kathedrale von Laon nicht vollständig gesehen habe, weil die Türme im Nebel verschwunden seien, haben das zunächst für eine Übertreibung gehalten - bis ich das zugehörige Photo gezeigt habe. Zum Chemin des Dames, einem der größten Schlachtfelder des Ersten Weltkriegs, mag ein solches Wetter ja noch ganz prima passen, aber nach fünf Tagen ohne wesentliche Aufheiterungen zieht sich das Gemüt erst einmal in tiefe Kellerregionen zurück, und ich habe mehr als einmal einem potenziell schönen Photo-Motiv hinterhergeheult. Von Sacy aus soll man z.B. einen wunderbaren Blick auf Reims haben. "Man soll" vielleicht, ich hatte jedenfalls nicht, ich hatte nur einen wunderbaren Blick auf die Glocke aus Nebel, Nieselregen und Dunst zwischen Sacy und dem Ort, an dem ich Reims vermutete. Meist kam übrigens abends gegen 19 Uhr die Sonne dann doch noch zwischen den Wolken raus, nur um knapp 15 Minuten später dann unter dem Horizont zu verschwinden. Unmut über verpeilte Himmelskörper.
Naja, aber dann wurde es ja irgendwann doch besser; daß allerdings ausgerechnet in Melun die Sonne erstmals so richtig schien, betrachte ich als deutliches Zeichen: Dort bin ich schließlich hauptsächlich hingepilgert, um Laure nahe zu sein. Es blieb aber bei der gefühlten Nähe, denn leider habe ich sie nicht gesehen, was vielleicht auch daran liegt, daß ich im allgemeinen nicht zum Stalking neige und deshalb auch weder über Zäune geklettert noch durch Wasserbecken geschwommen bin. Letzteres hätte sowieso der Kamera nicht gutgetan. Und tagelanges Ausharren auf nur minimal baumbestandenen Parkplätzen ist auch nicht so mein Fall. Aber natürlich habe ich ihre Anwesenheit deutlich gespürt. Was soll ich auch sonst sagen? Und am Schwimmstadion steht wenigstens schön groß "Stade Olympique Laure Manaudou".

Die Kunst

Gleich am Anfang bin ich kunsthistorisch in die Vollen gegangen: Auf der Fahrtroute standen in der ersten Woche die Kathedralen von Reims, Laon, Noyon, Soissons, Senlis, Meaux, Chalon-en-Champagne, Sens und Troyes. Im Privatfernseh (bzw. eigentlich überhaupt im Fernseh) wäre da mit Sicherheit die Rede von "Gotik pur" gewesen, wenn die dort überhaupt wüßten, was Gotik ist bzw. sich trauen würden, ihre Zielgruppen mit so etwas wie Gotik zu belästigen. Aber auf "Die krassesten gotischsten Kathedralen aller Zeiten" bei RTL2 werden wir wohl noch ein bißchen warten müssen, bis sie mit den Autofahrern und Haustieren durch sind. (...) Äh, wieder mal vom Thema abgekommen, pardon.
Jedenfalls kann ich mir nun beim Betrachten der Photos das lustige Spiel gönnen, zu versuchen, die Bilder der einzelnen Kathedralen korrekt den jeweiligen Orten zuzuordnen. Eh bien, das ist in Einzelfällen recht einfach: Laon ist z.B. die Kathedrale mit den Türmen im Nebel. Aber bei Soissons oder Meaux muß ich dann doch auch schon zweimal hinschauen (oder auf die Rückseite des Photos, wo ich den jeweiligen Ort draufgeschrieben habe...).
Im zweiten Teil der Reise gab es dann anstelle der Gotik eher Barockes (Nancy), monumentale Protzbauten (amerikanische Weltkriegs-Memorials) und Festungsbauten (Belfort, Besançon).

Die Revolution

Noch was zur Kulturgeschichte bzw. zur Geschichte überhaupt: Die Fahrtroute bot für einen Verehrer der Französischen Revolution wie mich gleich drei Wallfahrtsorte, die zu besuchen ich mir natürlich nicht habe nehmen lassen: Arcis-sur-Aube hat seinem größten Sohn, Georges Danton, auf dem Hauptplatz ein Denkmal errichtet. In Varennes-en-Argonne erinnert noch eine Gedenktafel an den Ort, an dem der Bürger Drouet die versuchte Flucht des Bürgers Capet (früher Ludwig XVI.) ins Ausland beendete; bis zur Grenze war es damals nicht mehr weit. Stattdessen: Zurück nach Paris und Kopf ab. So weit, so gut. Und in Blérancourt steht noch das Wohnhaus von Louis Antoine Saint-Just, in dessen Geburtsstadt Décize ich letztes Jahr schon war: Der durchaus bescheidene Landsitz des großen Politikers ist heute Museum, allerdings mit eher symbolischen Öffnungszeiten (irgendwann nachmittags mal zwei Stunden). Robespierres Geburtshaus in Arras sowie Guise, die Heimatstadt von Camille Desmoulins, habe ich auch schon besucht; jetzt fehlt mir eigentlich nur noch Marat in der Sammlung, aber der ist ja in der Schweiz geboren.

Die mißlungenen Besichtigungen

Zwei große Enttäuschungen hatte die Fahrt allerdings auch auf Lager. Da war zunächst Clairvaux: Der Besuch der Zisterzienserabtei war eigentlich als einer der Höhepunkte der Fahrt gedacht, denn Clairvaux ist ja schließlich nicht irgendein x-beliebiges Zisterzienserkloster, sondern eines der Gründungsklöster des Ordens und eine der bedeutendsten Klosteranlagen in Frankreich überhaupt, und Bernhard von Clairvaux heißt ja auch nicht umsonst so. Allerdings werden die erhaltenen Bauten heute als Gefängnis genutzt, und dementsprechend ist ein Besuch nur deutlich eingeschränkt möglich: Nur mit Führung, nur am Wochenende, nur zu bestimmten Zeiten. All das hätte ich sogar noch mitgemacht und hatte die Fahrtroute auch schon so gelegt, daß ich zeitlich günstig in Clairvaux war. Aber daß nicht nur das Photographieren komplett verboten ist, sondern sogar die Mitnahme von Photoapparaten, das war mir dann doch zuviel. Ich hab's dann beim Kauf einiger Postkarten belassen und die Anlage von außen abgelichtet. Schade.
Auch ärgerlich war, daß sich der ca. 70 Kilometer lange Umweg nicht gelohnt hat, den ich extra eingelegt habe, um die Königliche Saline von Arc-et-Senans zu besichtigen. Ein nicht geringer Teil der 70 Kilometer gingen auf das Konto einer gesperrte Straße, für die ich mangels Beschilderung und trotz der griffbereiten Michelin-Karte eine Umfahrt erst einmal selbst suchen durfte (Tip an die dortigen Schilderaufsteller: Nur der Text "Route barrée" transportiert *keine* ausreichende Information für den ortsunkundigen Fahrer und ist daher als suboptimal zu klassifizieren). 20 Kilometer am Stück fluchen strengt tierisch an, tut aber trotzdem gut. Ist halt auch irgendwie Spocht. Endlich in Arc-et-Senans angekommen, stellt sich dann die Saline als ausnahmsweise geschlossen heraus, und das restliche Tagesprogramm ließ leider auch keine dreistündige Wartezeit vor den Toren zu, so daß ich unverrichteter Dinge wieder abgezogen bin. Und fluchend natürlich; ich war ja schon in der Übung.

Das Fahren

Das Fahren durch die Champagne, die Picardie und die Vogesen war gewohnt entspannt; die Anzahl der Begegnungen mit Vollbratzen hielt sich in Grenzen; es gab keine Anschläge auf Leben und Gesundheit wie letztes Jahr. Der eine oder andere Trottel fährt einem bei einer Wegstrecke von mehr als 5000 Kilometern natürlich trotzdem über den Weg, aber die Quote ist wie üblich angenehm niedrig. Und vielleicht ist es ja auch ein nett gemeinter traditioneller Gruß zwischen zwei Volvo-Fahrern, sich durch sämtliche verfügbaren Autofenster sämtliche verfügbaren Mittelfinger zu zeigen, nachdem der eine ein nicht ganz ungefährliches Überholmanöver geritten hat.
Natürlich gibt's trotzdem was zu Meckern; es wäre ja ansonsten auch langweilig. In der südlichen Picardie, genauer gesagt im Vallée de l'Automne südlich von Compiègne, liegt das Geld buchstäblich auf der Straße. Und zwar in Form von gewollten Verkehrsbehinderungen: Unmotivierte Stopschilder auf der Hauptstraße, Dutzende von "Passages Surélevés" und ähnlichem Quatsch wie künstliche Hügel, Verkehrsinseln, S-Kurven, den ich eigentlich nur aus Deutschland kenne und in Frankreich bisher auch nicht vermißt habe. Das muß ein Wahnsinnsgeld gekostet haben, aus einer normalen Straße sowas wie eine vergrößerte Minigolfbahn zu machen. Frankreich ist offensichtlich auch nicht mehr überall das, was es mal war.
Meine Stammhotelkette ist übrigens auch nicht mehr überall das, was sie mal war. Zumindest nicht in Soissons, wo der gesamte Hotelparkplatz mit weißen Kleintransportern belegt ist, deren Besatzung abends mit nacktem Oberkörper biertrinkend aus den Hotelfenstern hängt. Es gab mal Zeiten, als ich nicht der einzige Tourist war. Okay, in Soissons steigen potenziell weniger Touristen ab als in zum Beispiel Narbonne oder Arles, aber trotzdem. Vielleicht sollte ich mir doch mal den Upgrade auf Etap gönnen, obwohl ich sonst ja immer noch sehr zufrieden bin.
Ach ja: Eine Reisewarnung ergeht hiermit für das Elsaß an sonnigen Sonntagen, weil genau dann halb Baden-Württemberg (vorzugsweise Opel Astras oder VW Passats mit FR (pardon, Yvonne), EM und OG auf dem Kennzeichen) einen Frankreichfeldzug veranstaltet und die Paßstraßen verstopft. Von "Schleichen" zu reden, ist fast schon untertrieben und trifft das Fahrverhalten nur sehr unzureichend, angesichts der Tatsache, daß sich da zum Beispiel ganze Fahrzeugkolonnen die Kurven zum Col de la Schlucht den Berg hinaufbremsen. Wenn man eine der dreieinhalb Stellen, an denen das möglich ist, zum Überholen nutzt, finden die Damen und Herren dann aber ganz schnell das Gaspedal und die Lichthupe. Nun, da wird man dann schon wieder in seinem Herkunftsland willkommen geheißen, ehe man da ist, und man weiß, was man niemals vermißt hat.

Aber naja, so ein bißchen Ärger reicht natürlich nicht, um die 16 Tage Frankreich wirklich mieszumachen, im Gegenteil. Im Mai 2006 geht es weiter: Dann mit dem nördlichen Anschluß an diese Tour: Picardie, Pas-de-Calais und östliche Normandie.

Carsten

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